Dringender Bedarf an neuen Anti-Infektiva oder: Stoppt Sepsis – Rettet Leben (Slogan der Deutschen Sepsisgesellschaft)

Die infektiologische Situation in Deutschland und vergleichbaren Staaten ist alarmierend, insbesondere im Hinblick auf bakterielle Infektionen. Dieses ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Zahl der gegen viele Antibiotika widerstandsfähigen (multiresistenten) Keime in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen hat und noch weiter zunehmen wird. Dazu gehören zum Beispiel MRSA (Methycillin-resistente Stapyhlococcus aureus), VRE (Vancomycin-resistente Enterokokken) und MDRPA (Multi-drug resistente Pseudomonas aeruginosa). Stapyhlococcus aureus beispielsweise ist ein Keim, der unsere Haut und den Mund- und Rachenraum besiedelt und an und für sich harmlos ist. Das gleiche gilt für die Pseudomonaden, die überall in der Natur vorkommen, auch in häuslicher Umgebung. Bei adäquater Hygenie stellen diese Keime normalerweise kein Problem dar, und wenn trotzdem eine Infektionen auftritt, dann reicht unser Immunsystem aus, um das Problem zu lösen, nötigenfalls zusätzlich unter Verwendung von Antibiotika. Wegen der Resistenzeigenschaften wird dieses aber immer schwerer, da gängige Antibiotika nicht mehr wirken. MRSA sind zum Beispiel in 90% aller Fälle gegen sämtliche Penicilline resistent, und zu 30 % gegen das Reserveantibiotikum Methycillin. Keime wie MRSA und MDRPA verursachen in deutschen Krankenhäusern jährlich ca. 500.000- 600.000 Infektionen, von denen etwa 15.000 tödlich verlaufen (Quelle: Deutsche Sepsisgesellschaft http://www.sepsis-gesellschaft.de).  In fast allen diesen Fällen ist die Todesursache eine bakterielle Sepsis (ungenau auch als Blutvergiftung bekannt).

Die Ursache für die Zunahme an Resistenz ist die unsachgemäße Verabreichung von Antibiotika, zum einen durch die zu häufige Verschreibung von Ärzten und das unkorrekte Einnahmeverhalten der Patienten. Zum anderen ist aber – und das stellt das Hauptproblem dar – der maßlose Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht für die Resistenzentwicklung verantwortlich. So werden In Deutschland jährlich 2500 Tonnen Antibiotika verschrieben, davon 1700 Tonnen (also 1,7 Millionen kg) in der Tierzucht, in erster Linie in der Massentierhaltung. Dieser ständige Eintrag in die Tierställe und damit zwangsläufig in die Umgebung dieser landwirtschaftlichen Anlagen führt – evolutionär gesprochen – zu einem gewaltigen Selektionsdruck der Umgebungsbakterien, so dass eine ständige Resistenzbildung erfolgt. Eine Änderung dieser Situation ist nicht absehbar, da nur eine gewaltige Reduzierung des Antibiotikaeintrages um 90 % längerfristig helfen würde. Wenn dieses politisch gewollt wäre, dann würde es aber das Ende der Massentierhaltung bedeuten. Eine in den letzten Monaten diskutierte Reduzierung um 5-10 %, was vielleicht politisch durchsetzbar ist, wäre hingegen wenig hilfreich.

Genau diametral zur Entwicklung von bakterieller Resistenz verläuft die Entwicklung von neuartigen Antibiotika. In den letzten 30 Jahren kamen  nur noch zwei neue Klassen von Antibiotika auf den Markt, so dass es in zunehmendem Maße eine große Lücke an Wirkstoffen gegen viele bakterielle Keime gibt. Mitverantwortlich für diese Lücke ist das Geschäftsgebaren der Pharmaindustrie, die weitgehend auf die Entwicklung von ‚Kassenknüllern‘ (Blockbustern) wie Antirheumatika, Blutdrucksenker, Psychopharmaka und Krebsmitteln fokussiert ist, die dauerhaft hohe Gewinne generieren. Im Gegensatz dazu ist die Entwicklung von Anti-Infektiva teuer und mühselig, und verspricht viel weniger langanhaltenden Profit. Daneben gibt es aber auch einen objektiven Grund für die Zurückhaltung der Pharmaindustrie, das Scheitern sämtlicher neuer therapeutischer Ansätze bei der Entwicklung von Anti-Sepsis Medikamenten in den letzten Jahrzehnten, die zu einem ‚Geldfriedhof der Pharmaindustrie‘ geworden sind.

Das Problem ist auch noch weltweit, dass die Forschungsförderung im Bereich von Sepsis mangelhaft ist. Dieses wird drastisch deutlich, wenn man den Bereich Sepsis mit dem Bereich HIV vergleicht: Die weltweite Forschungsförderung im Bereich Sepsis jährlich liegt ungefähr bei weniger als 90 Millionen €, während diese für HIV fast 2 Milliarden beträgt. Wenn die Zahl der Todesfälle jährlich verglichen wird, offenbart sich das Missverhältnis besonders krass: Den Sepsistoten von weltweit 9-10 Millionen jährlich steht eine Anzahl von <100.000  gegenüber, die an AIDS sterben.   Auch hier muss natürlich berücksichtigt werden, dass interessierte Pharmaunternehmen mit dem anti-HIV Medikament eine Art ‚Dauerbrenner‘ auf dem Markt haben, während ein anti-Sepsis-Medikament auf den Intensivstationen in der Regel nicht länger als 7 Tage verabreicht werden muss.

Wir haben in den letzten Jahren einen völlig neuen Ansatz gewählt, um eine Lösung des Problems der schweren Infektionen, die die bakterielle Sepsis darstellt, zu erreichen. Wir sind davon abgewichen, Substanzen wie Antibiotika zu entwickeln, die in erster Linie auf die Vernichtung der Bakterien ausgerichtet sind. Oftmals verursacht nämlich die antibiotische Behandlung das Austreten der bakteriellen Giftstoffe (Toxine), die dann erst recht die schwere Entzündung im menschlichen Körper anheizen. Wir haben uns vielmehr auf die Entwicklung von Wirkstoffen (Leitstruktur Aspidasept, demnächst wird das Patent erteilt) fokussiert, die die bakteriellen Giftstoffe wie Endotoxine ausschalten. Diese Fokussierung ist auch unabhängig davon, ob eine Resistenz bei den Bakterien vorliegt. Damit haben wir zum ersten Mal – bislang zumindest  im Tierversuch, aber auch in einem Modell der humanen Lunge – erreicht, dass die Sepsis effektiv unterbunden werden kann, und damit die Chance besteht, dass erstmalig ein wirksames Medikament gegen Blutvergiftung auf den Markt kommt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass allein in Deutschland ca. 200.000 Sepsisfälle (ca 240 Fälle pro 100.000 Einwohner) jährlich bei Patienten auftreten, von denen 70.000 sterben.  Neuere Daten aus den USA, die eine Fallzahl von 377 pro 100.000 Personen angeben, lassen vermuten, dass die Gesamtzahl wahrscheinlich viel höher ist (für Deutschland liegen keine neueren Daten vor).

Ökonomisch gesehen, verursacht diese schwere Infektion allein in Deutschland Kosten vor allem auf Intensivstationen von ca. 5.2 Milliarden € im Jahr.  Eine erfolgreiche Markteinfuhr unseres Wirkstoffes würde damit nicht nur einen erheblichen Nutzen für die Patienten, sondern auch für das Gesundheitssystem insgesamt bedeuten.  

Wir haben in unserem  Projekt  bisher erhebliche Unterstützung durch die öffentliche Hand, im Wesentlichen über Fördermittel des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), erhalten. Die noch ausstehende Finanzierungslücke hingegen ist zur Zeit noch nicht abgeschlossen, und wir können nur an potentielle Kapitalgeber und/oder Pharmaunternehmen appellieren, an der Finanzierung für die restlichen präklinischen Untersuchungen und die ausstehenden klinischen Phasen beizutragen.

Die Bedeutung der bakteriellen Sepsis, obwohl in der Öffentlichkeit immer noch nicht gesehen, wird im nationalen Maßstab immer klarer. So fand am 10.9.2013 ein ‚Sepsis-Summit‘ in Berlin statt (http://www.biodeutschland.org/veranstaltung-anzeigen/events/sepsis-summit-berlin-2013-fuer-einen-nationalen-aktionsplan-gegen-sepsis.html), an dem ein nationaler Aktionsplan gegen Sepsis ausgerufen wurde. Dieser stand in Zusammenhang mit dem Welt-Sepsis-Tag 2013 am 13. September (http://www.world-sepsis-day.org), in dem die Deutsche Sepsisgesellschaft Aktionen am Brandenburger Tor in Berlin einige Aktionen zur Mobilisierung der Öffentlichkeit durchführte. .

30.9.2013
Klaus Brandenburg